Hallo,
meine (unsere Meinung) zu
„agonistischem Verhalten" – Aggressionsverhalten - …
(08.01.2010, 21:26 )Cayenne schrieb: Was ich mir mittlerweile in Zusammenhang mit Kakadus für Fragen stelle: Ist es wirklich "Aggression", was ein Kakadu an den Tag legt? Aggression oder vielleicht vielmehr "agonistisches Verhalten"? Was für ein Konflikt besteht zwischen Tier und Halter? Was für Schlüsselreize löst das Verhalten des Tieres aus? Worin liegen die Ursachen für dieses Verhalten?
(08.01.2010, 22:28 )Uhu schrieb: Keiner macht es aus Böswilligkeit oder mit "Absicht". Den meisten Kakadus "passiert" es - dass Fehlverhalten trainiert werden. Später, wenn sich das Verhalten verfestigt hat, wird es dann als "Aggressionsverhalten" bezeichnet - weil Menschen noch zu wenig von Kakadus wissen - ihr Verhalten eben (noch) nicht lesen können (wie auch das Verhalten von anderen Papageien, da ließen sich (fast) alle Arten anfügen).
Ich denke, hier im Thema geht es auch nicht um Verhalten, die ein Vogel anderen Vögeln gegenüber zeigt - es geht um Verhalten von Kakadus, die von Menschen als "Aggressionsverhalten" bezeichnet werden - aus meiner Sicht aber "erlernte" Verhalten sind.
Auch hier sind es leider – wie auch im Thema „Schwarmhaltung“ – Glaubenssätze, die immer wieder weiterverbreitet werden. Sie schaden letztendlich den Papageien, da sie wichtige Aspekte nicht berücksichtigen, ja tlw. sogar die Halter „auf eine falsche Fährte“ locken. Doch alles der Reihe nach – wird ein bisschen länger!
Es gibt über Aggressionen und agonistische Verhaltensweisen (auch) aktuelle Literatur (z.B. Munkes/Schrooten, Papageienverhalten verstehen). Gerade dort werden den agonistischen Verhaltensweisen viele Seiten gewidmet.
Einzelne Verhalten zu bestimmten Arten werden z.B. dem Drohverhalten zugeordnet – Z.B. Schnabelklappern bei Kakadus, Aufstellen der Haube, Fauchen, usw..
Die grundlegende Problematik besteht darin, dass
1. Verhaltensbeobachtungen im Freiland geschildert werden
2. diese auf Haltungen in Menschenobhut 1:1 übertragen werden
3. dadurch von den Lesern Verhaltensweisen der Vögel falsch interpretiert werden
4. dann auf gezeigte Verhalten falsch reagiert wird, weil:
5. die Lernfähigkeit der Papageien in Menschenobhut nicht berücksichtigt und auch völlig unterschätzt wird.
Mal ein paar Beispiele:
2 geschlechtsreife Inkakakadus bewohnen bei uns einen Schutzraum mit angrenzender ca. 15m langer Außenvoliere. Jedesmal, wenn ich den Raum betrete, stellen sie die Haube auf und nicken mit dem Kopf. Würde ich jetzt dieses Verhalten – beeinflusst durch die o.g. Literatur - falsch deute als Drohverhalten (S.78) und mich zurück zöge, könnte ich in Kürze den Raum nicht mehr betreten und dort auch nicht mehr sauber machen, geschweige denn füttern. Also wird auf das gezeigte Verhalten anders reagiert und als erstes Vertrauen aufgebaut. Jetzt ist es so, dass ich abends nur (innen stehend) am Fenster pfeifen muss – und die beiden kommen sofort hereingeflogen, bis auf die Fensterbank, stellen die Haube auf, begrüßen mich und fliegen in den Schutzraum.
Die Haube stellen sie übrigens bei jeder Landung nach dem Flug auf, ob sie auf einem Seil, einem Ast oder sonst wo landen. Ist Inkakakadu-typisch! Kein Drohverhalten! (Gut für die Inkas, dass ich mich von der Literatur nicht beeinflussen ließ!)
Nächstes Beispiel:
Ich betrete den Schutzraum unseres Molukkenpärchens (mit angrenzender Außenvoliere ). Der Hahn stellt die Haube auf, faucht und breitet die Flügel aus. Würde ich jetzt den Raum verlassen – Was würde der Vogel lernen????
Ich akzeptiere also seine Geste: „Das ist mein Reich!“ vergrößere seine Forderung nach Individualdistanz schrittweise so weit, bis er zeigt: Wenn du an der Stelle stehen bleibst, entspanne ich mich.
Dann wird er verstärkt für seine Entspannung. Nach und nach lässt er es zu, dass die von ihm anfangs eingeforderte Distanz immer kleiner wird, bis er nach wenigen „Trainingseinheiten“ gelernt hat: Wenn „die“ ins Zimmer kommt, brauche ich mich nicht aufregen, da kommt was Gutes ….
Die Vögel lernen sehr schnell – und das ist mir lieber, als mit Lederjacke und Plastikhelm auf dem Kopf - evtl. noch bewaffnet mit einem Stock – den Schutzraum und die Außenvoliere zu reinigen bzw. sie zu füttern.
Noch ein letztes Beispiel – ich könnte noch viele anschließen, will mich aber auf die Kakadus hier beschränken. Das Aufstellen der Haube und das Fauchen wird beim „Kleinen Gelbhaubenkakadu“ (Cacatua sulphurea) als Drohgebärde beschrieben. Unsere begrüßen uns so. Punch faucht, wenn er gekrault wird, klappert auch mit dem Schnabel…. Warum? Alle haben durch unsere Reaktionen auf ihr gezeigtes Verhalten gelernt, dass sie Vertrauen haben können und nur Gutes kommt – nicht eine Strafe! Ihr Wunsch nach Abstand wird akzeptiert, aber schrittweise so weit verringert, wie es der Vogel zulässt. Die Vögel, besonders die Kakadus, lernen sehr schnell – welches Verhalten sich für sie mehr lohnt, ohne sie zu irgend etwas zu zwingen. Sie haben immer die Wahl!
Kommen wir jetzt zu den Haltern, deren Bewusstsein für das Lernvermögen und die Lernfähigkeiten der Vögel noch nicht so „geschult“ ist. Sie informieren sich über das Verhalten der Papageien, lesen auch über Aggressionsverhalten und agonistische Verhaltensweisen in Büchern usw. Z. B. S. 78 (s.o.)
Folgende Beispiele anderer (mir persönlich bekannter) Halter:
Herr A. hält einen kleinen Gelbhaubenkakadu. Frau A: möchte sich auch mit ihm (dem Kakadu) beschäftigen und nähert sich der Voliere. Der Kakadu senkt den Kopf, stellt die Haube auf. Frau A. hat viel gelesen – und weicht zurück. Was lernt der Kakadu spätestens beim 3. Mal????
Herr B. hält ein Pärchen Gelbhaubenkakadus. Die Vögel brüten. Der Schutzraum soll sauber gemacht werden. Der Hahn droht, als Herr B. den Raum betritt. Herr B. zieht sich zurück. Was lernt der Hahn? Wird sich das Verhalten verstärken?
Herr C. hält ein Pärchen Weißhaubenkakadus. Das Pärchen brütet. Herr C. kann den Hahn auf der Hand aus dem Schutzraum holen. Was hat der Hahn vorher gelernt?
In einem anderen – auch aktuellen – Buch (Arndt / Reinschmidt, Amazonen: Freileben – Haltung – Ernährung – Zucht) wird zumindest ansatzweise erwähnt, dass bestimmte Verhalten durch den Halter „anerzogen“ werden.
Solange Vögel in Menschenobhut gehalten werden, ist es wichtig, Verhalten zu sehen und zu verstehen, Vögel zu „lesen“. Ausschlaggebend für das weitere Zusammenleben ist, wie man auf gezeigtes Verhalten reagiert. Denn in Menschenobhut erfolgt immer zwangsläufig eine Reaktion des Menschen auf das Verhalten seiner Vögel!!! (Unabhängig von der Haltungsform)
Und genau aus dieser Reaktion heraus lernen die Vögel. Besonders schnell, wenn sich eine bestimmte Reaktion auf ein Verhalten mehrmals hintereinander wiederholt. So entstehen Verhaltensweisen, die für den Halter auf Dauer problematisch werden können. Diese Verhalten werden dann leider häufig den „agonistischen Verhaltensweisen“ zugeordnet obwohl sie eben erlernte Verhalten sind. Es ist einfacher (und für viele auch zunächst logisch) ein Verhalten in eine bestimmte „Schublade“ zu packen. Dem Vogel ist damit nicht geholfen. Dem Halter ist damit auch nicht geholfen.
„Agonistische Verhaltensweisen“ haben für in Menschenobhut gehaltene Papageien keinen Sinn mehr– und so kann man Vögeln in Menschenobhut gezielt und bewusst zeigen, welche Verhalten ihnen dazu dienen, hier ein stressfreies Leben zu führen. Man nutzt einfach nur die Lernfähigkeit der Papageien bewusst und gezielt aus, damit Familie Papagei stressfrei mit Familie Mensch in einer WG zusammen leben kann – unabhängig von der Haltungsform!
Damit meine ich sicher nicht, dass man Aras nun unbedingt Rollschuh fahren beibringen sollte. Aber vlt. ist es hilfreicher, dass die Papageien alle Familienmitglieder in ihrem Lebensraum akzeptieren lernen als einzelne anzugreifen.
Es sind – aus meiner Sicht - auch nicht „Schlüsselreize“, die ein Verhalten auslösen. Es sind schlicht und einfach erlernte Verhalten. Jedes erlernte Verhalten kann man (in bestimmten Grenzen) ersetzen durch ein anderes Verhalten. Nur dauert es bei Kakadus mit einer negativen Vorgeschichte ein bisschen länger.
Dazu ein letztes Beispiel:
Unser WHK, den viele hier im Forum zumindest von Bildern her kennen: gerupft, flugunfähig, die 4 Zehen des linken Ständers kann er nicht mehr öffnen, auf ebenem Boden läuft er „wie mit Klumpfuß“, wenn er am Gitter klettert, bleibt er oft hängen, weil er die Zehen nicht mehr herausziehen kann.
Jonathan zog hier vor 9 Monaten ein. Sein damaliges Verhalten: Er schreit mörderisch laut. Er beißt. Er flieht in die äußerste Ecke, sobald sich ein Mensch seiner Voliere nähert. Muss man die Voliere betreten, springt er von der Decke in 2m Höhe panisch herunter und haut zu Fuß ab.
Jonathan heute:
Er schreit nicht mehr. Er ruft mal ab und zu, halt ganz normal für einen WHK, drinnen fast nie – einem Konzert mit dem Molukken draußen ist er nicht abgeneigt, das macht Spaß – das Duett! Er beißt nicht mehr. Er meidet nicht mehr die Nähe des Menschen. Er nimmt Futter aus der Hand. Er geht auch zu Fremden ans Gitter und lässt sich füttern. Er kommt, wenn ich ihn rufe. Er steigt freiwillig in seinen Transportkäfig ein und lässt sich ohne Hektik und Panik überall hin tragen. Seit einigen Tagen kommt er auch auf meinen Arm.
Das alles hat er durch gezieltes Training gelernt.
„Agonistische Verhaltensweisen“ – ja, die zeigte er bei seinem Einzug hier. Als „aggressiv“ abstempeln muss man ihn deswegen nicht. Man kann auch an seinem Verhalten arbeiten.
Nein, einen Kuschelvogel will ich sicher nicht aus ihm machen, aber zumindest dem Vogel das Vertrauen zu Menschen zurückgeben, das er verloren hatte.
Viele Grüße
Susanne
P.S. Ich bedanke mich jetzt mal bei meinen Männern, die heute den Dienst der Volierenputzfrau übernommen haben, damit ich schreiben konnte. Jetzt kommt das nächste Thema - Schwarmhaltung - dran! - Bis später!